Bis anhin galt die Maxime: Sehen ist glauben. Erst was wir sehen, das glauben wir üblicherweise. Allerdings war das schon immer ein Trugschluss. Es ist nämlich genau umgekehrt: Wir sehen nur das, was wir eh schon glauben! Diese Behauptung kann, zumindest was unser „Sehen“ auf dem Internet betrifft, sogar technisch und juristisch belegt werden, nämlich anhand der neuen Datenschutzbestimmungen von Google!
Per 1. März nämlich will Google die über 60 verschiedenen Datenschutzbestimmungen für all die verschiedenen Produkte vereinheitlichen. Das ist sicher vernünftig und löblich. Da solche Datenschutzbestimmungen in der Regel nicht sehr leserfreundlich sind, ja im Gegenteil so gemacht sind, dass sie Leser abschrecken, hat Google eine Seite aufgeschaltet, auf der die wesentlichen Änderungen zusammen gefasst sind. In fünf einfachen Abschnitten sind die wesentlichen Änderungen zusammen gefasst: Produktevielfalt, personalisierte Suche, Kollaboration, Datenschutz und Datennutzung durch Google. Zu jedem dieser Abschnitte könnte man ein Buch schreiben. Ich schreibe einen Post zur personalisierten Suche. Immerhin. Dieser Abschnitt lautet bei Google wie folgt:
Passend für Sie
Wenn Sie in Google angemeldet sind, können wir Ihnen anhand der Interessen, die Sie in Google+, Google Mail und YouTube zum Ausdruck gebracht haben, Vorschläge für Suchanfragen anzeigen und Ihre Suchergebnisse personalisieren. Zum Beispiel können wir für die Suchanfrage „Golf“ (Sport oder Auto?) schneller die gewünschten Ergebnisse liefern.
Offenbar wir da für ein ernstes Problem eine Lösung angeboten, so jedenfalls wird diese Änderung kommuniziert. Ich persönlich habe mindestens bei Golf kein Problem, weil ich begeisterter öV-Benutzer bin und Sport verabscheue – insofern ist die angebotene Lösung für mich irrelevant. Interessant übrigens, dass im englischen Text nicht „Golf“ als Beispiel hinhalten muss, sondern „Jaguar“. Aber auch dieses Beispiel ist in meinem Fall eine Lösung für ein nicht existentes Problem.
Auch für Leute, die Auto fahren und sich für Sport und Tiere begeistern, ist das alles kein Problem. Üblicherweise sucht man ja nicht nach einem Begriff alleine, sondern nach mehreren Begriffen, die zusammen einen Kontext bilden. Wenn man also zusätzlich zum Suchbegriff „Golf“ noch „PS“ oder „Schläger“ eingibt, dann liefern Googles Algorithmen absolut zutreffende Ergebnisse, auch wenn man nicht eingeloggt ist. Die angepriesene Personalisierung macht also eigentlich keinen Sinn. Weshalb aber legt Google doch so einen Wert darauf?
Die Erklärung findet man, wenn man die Datenschutzerklärung dann im Volltext liest. Dort nämlich erscheint der Begriff „Suchergebnisse“ immer zusammen mit der Ergänzung „und Werbung“. Darum geht es also: Die Suchergebnisse werden deshalb personalisiert, damit Google personalisierte Werbung schalten kann. Natürlich ist das nichts Verwerfliches, schliesslich verdient Google sein Geld mit uns als Werbeempfänger – wir, bzw. unsere Aufmerksamkeit, sind das Produkt, dass Google verkauft. Aber das nur am Rande.
Konsequenz der personalisierten Suche ist aber, dass wir bei Google je länger je mehr nur noch Suchresultate angezeigt erhalten, die wir erwarten. Das Internet wird demnach immer mehr zu einem Wahrnehmungstunnel, bei dem alles was links und rechts von unserem „Glaubenssystem“ liegt, ausgeblendet wird. Das ist relativ undramatisch, wenn es um Jaguar und Golf geht. Es wird aber dramatisch, wenn es um politische Überzeugungen geht. Ist jemand links, wird er zunehmend nur noch Suchresultate aus dem linken Spektrum erhalten. Jemand der rechts politisiert wird umgekehrt nur noch Resultate angezeigt erhalten, die seine Meinung stützt.
Das ist dramatisch, denn wenn wir nur noch in unserer Meinung bestärkt werden, dann sinkt nicht nur unsere Konsensbereitschaft, es wird sogar so weit kommen, dass wir gar nicht erkennen, dass es einen Konsens brauchen könnte. Dass das jemand anders sehen könnte. Dass unsere Meinung nicht unbestritten ist. Eli Pariser nennt das in ihrem gleichnamigen Buch The Filter Bubble. Google lullt uns ein in einer wattierten Blase, in der unsere Meinung alleine und unbestritten da steht.
Technisch wurde die personalisierte Suche von Google schon Ende 2009 eingeführt, still und leise. Über 70 Parameter werden, abgesehen von unserer Suchanfrage, ausgewertet für das personalisierte Suchergebnis. Zu diesen Parametern gehört unser momentaner Standort, welchen Browser mit welchem Computer wir benutzen, was wir früher gesucht haben, was wir in Google+ „geplust“ haben usw. Eli Pariser stellt dazu fest, dass unser Computermonitor so nach und nach zu einem Ein-Weg-Spiegel wird, der bloss noch unsere Meinung wiederspiegelt.
Die Google Algorithmen legen also nicht bloss unsere Suchresultate fest, sondern zunehmend auch unser ganzes Leben!
Jetzt zieht das Unternehmen bloss noch juristisch nach und passt die Datenschutzbestimmungen an. Technisch ist bereits der nächste Schritt erfolgt, die soziale Suche. Mitte Januar wurde die „Search, plus your world“ im Firmenblog vorgestellt. Der Name sagt eigentlich schon alles: „Suche, und deine Welt“.
Wie es weiter gehen wird ist offensichtlich: „Suche deine Welt“, nur noch deine Welt… Und dann ist „sehen ist glauben“ endgültig abgelöst durch „glauben ist sehen“, denn dann sehen wir nur noch das, was wir eh schon glauben.
Man glaubt nur das, was man auch sieht,
Meint man, doch ist es sehr perfid,
Es ist ganz anders überhaupt:
Man sieht nur, was man eh schon glaubt!
4/52
Das kommt doch nicht wirklich überraschend. Google+ und Facebook sind die AOLs von heute. Damals haben die AOL-User gedacht, sie wären im Internet – jetzt köcheln wir alle schön in unserem eigenen gefilterten Socialnetzwerksüppchen. Als bekennende Googleplusserin versuche ich aber nach wie vor ab und zu mal den Blickwinkel, die Suchmaschine und den ganzen anderen Rest auch zu wechseln.
Guter Punkt: Diversity ist auch hier die Lösung!