Diese Zitate stammen aus dem Aufsatz Die Monotonisierung der Welt von Stefan Zweig. Wer hat das nicht schon selber erlebt: Wo immer man hinkommt, Starbucks, McDonalds, H&M, Nike, Coca Cola waren schon vor uns da. Und der Schluss ist naheliegend, dass sich diese äussere Monotonie auch nach innen wenden muss. Weil die Menschheit zunehmend gleichgeschaltet ist durch TV und Internet liegt es nahe, dass auch eine „Gleichartigkeit der Seelen“ entsteht. Zweig führt das vor allem darauf zurück, dass alle Welt zur gleichen Musik tanzt und den gleichen Sport treibt. Alles Individuelle werde zertanzt und zersportet. Dass sich die Körper immer ähnlicher werden, weil alle an den gleichen Fitnessgeräten die gleichen Muskeln trainieren, kann jeder selber beobachten (Beispiel).
Als Grund für diese Verflachung ortet Zweig eine Kraft, die nicht zu überwältigen sei:
„Denn sie alle erfüllen das höchste Ideal des Durchschnittes: Vergnügen zu bieten, ohne Anstrengung zu fordern. … Wenn die Menschheit sich jetzt zunehmend verlangweiligt und monotonisiert, so geschieht ihr eigentlich nichts anderes, als was sie im Innersten will.“Wer nickt zu solchen Worten nicht innerlich und streckt seinen Zeigefinger in Gedanken schon aus, um auf all die anderen zu zeigen…
Was irritierend ist, ist die Tatsache, dass Zweig diesen so aktuell scheinenden Aufsatz schon 1925 geschrieben hat, vor bald 100 Jahren also. Das lässt zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder ist die Monotonisierung der Welt etwas, was vor 100 Jahren ihren Anfang genommen hat und sich seither zunehmend verschlimmert und zugespitzt hat. Oder die Klage über die Monotonisierung der Welt vergleichbar mit derjenigen über die Jugend, die ja angeblich immer schlimmer wird. Wenn letzteres nämlich zuträfe, dann würde heute niemand mehr Kinder in die Welt setzen: Die Verrohung der Jugend nahm nämlich nicht erst vor 100 Jahren ihren Anfang. Nein, die Griechen hatten offenbar schon vor 2‘500 Jahren damit zu kämpfen, wie folgendes Zitat von Sokrates belegt1:
„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“Kurzum, ich denke, dass die Klage über die Monotonisierung der Welt keine Tatsache ist, sondern dass es sich dabei um ein Problem der Wahrnehmung handelt. So wie sich offenbar bei allen Menschen die Wahrnehmung auf dem Weg vom jugendlichen ins Erwachsenenalter verschiebt, so ist auch unsere Wahrnehmung anderer Kulturen verzerrt.
So wie schwangere Frauen plötzlich überall andere Schwangere sehen und Männer mit Haarausfall schlagartig von Glatzköpfen umgeben scheinen, so sehen wir in fremden Städten auch zuerst das bekannte. So ist unsere Wahrnehmung eingestellt, wir sind trainiert darauf, Muster zu sehen.
Eingedenk dieser Tatsache finde ich Zweigs Vorschlag zur Rettung vor der Monotonisierung sehr befolgungswürdig:
„Flucht, Flucht in uns selbst. Man kann nicht das individuelle in der Welt retten, man kann nur das Individuum verteidigen in sich selbst.“Wenn wir also das nächste Mal vor der Frage stehen, ob wir das neueste Gadget wirklich anschaffen, den letzten Modeschrei tragen oder unsere Ferien in der angesagtesten Destination verbringen sollen, dann hält Zweig einen ganz handfesten Rat bereit, der aktueller ist denn je:
Nicht hochmütig wegsehen, nicht frech sich weghalten, sondern zusehen, zu erkennen suchen und dann wissend ablehnen, was uns nicht zugehört, und wissend erhalten, was uns notwendig erscheint.“_______________
- andere Quellen übersetzten dieses Zitat aus Platons Dialog „Der Staat“ anders, beispielsweise so: Der Lehrer fürchtet und hätschelt seine Schüler, die Schüler fahren den Lehrern über die Nase und so auch ihren Erziehern. Und überhaupt spielen die jungen Leute die Rolle der alten und wetteifern mit ihnen in Wort und Tat, während Männer mit grauen Köpfen sich in die Gesellschaft der jungen Burschen herbeilassen ↩