Zu Fragen, was die Realität sei, scheint müssig. So wie ein Fisch einfach im Wasser lebt, ohne es erklären zu müssen, so schwimmen wir gleichsam in der Realität. Aber im Gegensatz zum Wasser ist die Realität, die uns umgibt, begreifbar: Der Stuhl auf dem ich sitze, das Fenster, aus dem ich schaue, die Strasse, das Haus, der Wald. Alles ist fass- und damit begreifbar.
Forschungen in Physik und insbesondere in der Quantenphysik zeigen nun aber, dass diese Realität gar nicht so fassbar ist, wie wir meinen. Die seit den alten Griechen dauernde Suche nach den kleinsten Teilchen war nämlich bislang erfolglos. Nach den zuerst theoretisch vermuteten und dann praktisch nachgewiesenen Atomen, die ihrerseits aus Atomkern und darum herum kreisenden Elektronen bestehen, war die Suche nach den kleinsten Teilchen nicht zu Ende. Immer kleinere Teilchen wurden gefunden, die sich immer merkwürdiger verhielten. An einem bestimmten Punkt konnte selbst die bis anhin gebräuchliche Trennung zwischen einem Teilchen und einer Welle nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Die Welle, also die Art und Weise, wie beispielsweise Licht sich ausbreitet, galt als Gegenspieler zu den Teilchen. Im subatomaren Bereich jedoch verschmelzen die beiden Formen komplett. Ob etwas als Teilchen oder als Welle wahrgenommen wird, wird vom Beobachter bestimmt.
Auf der Ebene der Sprache werden die Teilchen eher mit Substantiven, Wellen eher mit Verben beschrieben. Die Realität besteht aus Teilchen, und damit aus Substantiven. Das deutsche Wort für Realität, Wirklichkeit, enthält das Wort wirken. Interessant ist das vor allem deshalb, weil wirken ein Verb ist. Und Verben, so meinen wir, sind nicht begreifbar, weil sie nicht stofflich sind. Könnte es aber nicht sein, dass das, was die Wirklichkeit im Innersten ausmacht, ein Verb ist, ein Prozess, eine Tätigkeit? Eben: ein Wirken? Viele Begebenheiten, die wir durchaus der Wirklichkeit zuordnen, sind nicht-stofflicher Natur. Zum Beispiel die Liebe – lieben – als Beispiel für Gefühle, welche allesamt nicht-stofflich sind und die wir trotzdem durchaus begreifen und verstehen können1.
Offenbar gibt es also gar nichts, zumindest keine Teilchen. Alles, was wir als real und wirklich wahrnehmen, ist in Wahrheit einfach nichts. Wenn man diesen Gedanken weiter denkt, dann könnte man zum Ergebnis kommen, dass die Trennung zwischen stofflicher und nicht-stofflicher Welt eine künstliche ist2. Diese Trennung ist in der Natur so nicht angelegt ist, trotzdem nehmen wir sie so wahr. Unsere Wahrnehmung ist eingeschränkt und weitgehend angelernt und damit veränderbar. Die Wirklichkeit entsteht im Wechselspiel von „äusseren Begebenheiten“3 mit unserer Wahrnehmung.
Die Realität besteht also im Kern aus etwas nicht be-greif-barem, sie besteht aus nichts. Was die Realität ausmacht ist ein Wirken, man müsste also treffender wohl von einer „Wirkenlichkeit“ sprechen.
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- diese Einsicht verdanke ich dem Quantenphysiker Hans-Peter Dürr, der seine Sicht der Welt eindrücklich in diesem Interview darlegt ↩
- mehr dazu im englischen Post strive for the intangible things ↩
- Ich habe die Anführungszeichen deshalb gesetzt, weil wohl auch diese Trennung eine künstliche ist ↩