Eine erste wesentliche Erkenntnis der Quantenmechanik ist, dass kleinste Partikel gleichzeitig bewegt und unbewegt sein können. Und eine zweite Erkenntnis ist, dass die erste Erkenntnis für unser tägliches Leben vollkommen bedeutungslos ist.
So dachte ich wenigsten, bis ich den TED-Talk von Aaron O’Connell, Making sense of a visible quantum object, gesehen hatte. Dank O‘Connells Vortrag habe ich erkannt, dass die Quantenmechanik sehr wohl einen wesentlichen Einfluss auf mein tägliches Leben hat. Allerdings anders, als ich das erwartet hätte.
Beginnen wir mit einem Beispiel: Wenn wir Fahrstuhl fahren, was machen wir dann? Kommt drauf an, oder? Darauf nämlich, ob wir alleine sind oder nicht. Wenn wir nicht alleine sind, dann gucken wir erfahrungsgemäss an die Decke oder starren ein Loch in die Wand. Wir stehen also möglichst ruhig, unauffällig und still da. Wenn wir aber alleine sind, dann ist das etwas ganz anderes. Da können wir die Garderobe richten, in der Nase bohren, Lockerungsübungen machen. Oder auch einfach ganz still stehen. Wenn wir also unbeobachtet sind, dann bewegen wir uns völlig frei und von ausserhalb des Fahrstuhls ist nicht erkennbar, was wir drinnen machen.
So geht es auch den quantenphysikalischen Partikeln. Die bewegen sich frei und völlig unbekümmert, hüpfen hierhin und dorthin und legen sich nicht fest. Man bezeichnet das als Supraposition. Sie sind also in einem undefinierten Zustand, sie sind noch nicht festgelegt. Erst dann, wenn sie beobachtet werden, legen sie sich fest.
Wenn man das auf den Fahrstuhlfahrer überträgt, der alleine unterwegs ist und sich in der Nase bohrt oder eben nicht, so ist auch er noch nicht festgelegt. Erst wenn er beispielsweis im obersten Stockwerk aussteigt und mit hohlem Kreuz und gereckter Brust den Flur hinunter schreitet und von allen Leuten respektvoll gegrüsst wird, wird für einen aussenstehenden Beobachter klar, dass es sich um den Generaldirektor handelt. Solange der Mensch alleine im Fahrstuhl ist, ist er also in einer Supraposition. Die Zeit im Fahrstuhl ist gewissermassen eine Auszeit, in der man sich selber sein kann, ohne die gesellschaftlich geforderte Rolle spielen zu müssen. Und erst das Umfeld legt fest, welche Rolle gespielt werden muss. Wenn nämlich der Herr Generaldirektor zu Hause aus dem Fahrstuhl steigt oder in einem Kaufhaus, dann nimmt er eine völlig andere Rolle ein, als am Arbeitsort.
Im Wechselspiel mit Beobachtern, mit anderen Menschen also und mit unserem Umfeld, wird fest gelegt, wer wir sind. Aus der Verbindung mit allen Dingen und Menschen um uns herum ergibt sich unser Sein. Es wird uns also weder von aussen aufgezwungen noch sind wir alleine dafür verantwortlich. Es geschieht im Wechselspiel.
In einem Wechselspiel ist aber alles möglich. Das Eine und dessen Gegenteil. Und wenn wir unsere Leben mal unter diesen Voraussetzungen betrachten, dann sehen wir, dass das in allen Bereichen so ist:
Die Geschichte der Wissenschaft ist voller Beispiele: Der Übergang vom geo- zum heliozentrischen Weltbild beispielsweise. Man nennt solche Wechsel auch Paradigmenwechsel und sehr oft bedeuten sie eine Umkehr ins Gegenteil. Oder, um mit Hegel zu sprechen: Jede These ruft nach einer Antithese. Die daraus resultierende Synthese wird ihrerseits zur neuen These, damit das Spiel wieder von vorne beginnen kann.
Im alltäglichen Leben kennen wir aus der Interaktion mit anderen Menschen die Situation, dass etwas, was uns selber sonnenklar ist, dem oder der anderen überhaupt nicht in den Kopf gehen will. Wer verheiratet ist, weiss wovon ich rede – jedenfalls dann, wenn die Ehe den üblichen Klischees entspricht.
Wenn man also die Erkenntnisse aus der Quantenphysik auf unser alltägliches Leben überträgt, dann heisst das, dass alles so ist, wie es ist, weil es sich im Wechselspiel mit allem und allen anderen befindet. Dass aber, da es sich um eine Wechselspiel handelt, es ebenso gut genau andersrum sein könnte.
Wir sind nur dann festgelegt, wenn wir davon ausgehen, dass wir es sind. Wovon wir ausgehen hängt auch davon ab, was wir denken, dass andere, Beobachter sozusagen, von uns erwarten. Und dann wird es je nach dem ein Zirkelschluss oder eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Denn natürlich können wir das Wechselspiel beeinflussen. Genauso, wie das quantenmechanische Partikelchen – aber das hat die Quantenphysik noch nicht heraus gefunden
Es ist genauso, wie es scheint,
Und ganz genau auch wieder nicht.
Egal, wie fest man etwas meint:
Es gibt die gegenteil’ge Sicht!
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