In unserem Alltag haben wir viele Rollen, sie wechseln je nach Kontext. Zu Hause sind wir Lebens- oder Ehepartner, vielleicht Eltern und vielleicht auch noch Kinder, bei der Arbeit Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Untergebene, in der Freizeit Kollegen, Sportsfreunde oder Bekannte. Verschiedene Situationen erfordern unterschiedliche Verhaltensweisen, der Kontext bestimmt die Rolle.
Auch im Internet, im virtuelle Raum gibt es unterschiedliche Kontexte, und auch dort nehmen wir Rollen ein: Chatpartner, Wissensdurstige, Suchende und Findende, Shopper und Stöberer. Die Rolle hängt also auch hier davon ab, was wir gerade tun.
Soweit nichts Neues, soweit nichts Überraschendes: Die Rolle, die wir einnehmen, hängt vom Kontext ab – egal ob im „richtigen“ oder im virtuellen Leben. Doch es gibt einen grossen und wesentlichen Unterschied! Obwohl auch im Internet die Rollen wechseln, gibt es eine alles bestimmende und alles überlagernde Rolle, die wir einzunehmen gezwungen werden: die Rolle des potentiellen Konsumenten, des potentiellen Kunden.
Auf den meisten Webseiten sind wir nämlich Werbung ausgesetzt: Banner und Pop-up’s waren es früher. Diese Werbung war auffällig, grell und poppig, blinkte und nervte – aber sie wurde in jedem Fall als Werbung wahrgenommen und konnte entsprechend ignoriert werden. Heute ist die Werbung viel subtiler: Sie wird nicht mehr nach dem Giesskannenprinzip verteilt, sondern sie wird personalisiert. Webseiten sammeln Informationen über die Benutzer. Das ist einerseits deshalb möglich, weil die Benutzer sich auf Webseiten wie Facebook oder bei allen Google-Diensten anmelden müssen, oder weil die Webseiten mittels Cookies wissen, wer ein wiederkehrender Benutzer ist und was er das letzte Mal gemacht hat.
Unternehmen wie Facebook und Google bieten ihre Dienste kostenlos an und finanzieren sich über Werbung. Je personalisierter die Werbung ist, desto weniger nervt sie die Benutzer, und desto teurer kann sie verkauft werden. Eine Win/Win-Situation also, könnte man meinen, denn eigentlich ist das ja eine gute Sache: Ich kriege nicht mehr einfach irgendwelche Werbung für Produkte, die mich absolut nicht interessieren, sondern gezielte Angebote, die mich tatsächlich ansprechen. Die Werbung ist also weniger nervig und bringt sogar einen gewissen Nutzen.
Problematisch dabei ist jedoch, dass wir eine Preis bezahlen dafür, wir geben nämlich unmerklich (aber absolut freiwillig) unser Privatlebens preis: Unseren Beziehungsstatus und die neuesten Bekanntschaften beispielsweise in Facebook, und was uns so interessiert und wonach wir so suchen bei Google (was Google alles weiss ist hier aufgelistet: Google Dashboard). Das ist noch Ok. Dass aber sowohl Google als auch Facebook diese Informationen weiter verkaufen in Form von Werbeplätzen, das stört mich. Denn die Benutzer werden so zur Ware degradiert, mit der diese Unternehmen ihr Geld verdienen: Je mehr sie von uns wissen, desto teurer können sie die Werbeplätze verkaufen.
Ich traue deshalb diesen Unternehmen nicht mehr blind, wenn sie mal wieder ein neues Feature einführen oder einmal mehr die Benutzerrichtlinien anpassen. Dient das wirklich in erster Linie mir als Benutzer, oder geht es nur um mich als potentiellen Konsumenten? Denn diese Rolle als potentieller Konsument, die haben ich im Internet immer, ob ich will oder nicht. Nur wenn ich diese Rolle einnehme, kann ich weiterhin von Diensten wie Google oder Facebook profitieren, die vordergründig gratis sind – im Hintergrund aber unsere Kosten milliardenschwere Unternehmen generieren.
Wir sehen uns als Benutzer, werden aber als Konsumenten behandelt. Diese fehlende Übereinstimmung ist gefährlich. Im Internet haben wir beide Rollen, sie sind untrennbar, und das ist fatal: Was gut ist für Konsumenten, das ist nicht in jedem Fall auch gut für Benutzer. –
Auch ohne dass wir das so wollen,
Haben wir im Netz zwei Rollen:
Wir sehen uns als User bloss,
Doch Kunde sein ist unser Los!
6/52