Im aktuellen Wired gibt es ein Interview von Kevin Kelly mit George Dyson. Dyson ist in den 50er Jahren in Princeton aufgewachsen, und hat dort schon als Kind die „Proto-Hacker“ und frühen Computer-Genies Alan Turing und John von Neumann kennen gelernt. Dyson sagt über den Computerpionier Alan Turing folgendes:
Turing, as a 23-year-old graduate student, derived the principles of modern computation more or less by accident—as a byproduct of his interest in something called the Decision Problem. It can be stated as: Is there a formula or mechanical process that can decide whether a string of symbols is logically provable or not? Turing’s answer was no. He restated the answer in computational terms by showing that there’s no systematic way to tell in advance what a given code is going to do. You can’t predict how software will behave by inspecting it. The only way you can tell is to actually run it.
Der junge Turing hat also mathematisch bewiesen, dass es unmöglich ist vorherzusagen, was eine Software machen wird. Man müsse die Software ausführen, um das zu erfahren. Und je grösser, mächtiger eine Software ist, desto mehr Zeit braucht es um herauszufinden, wie sie reagieren wird. Unsere heutigen komplexen Computersysteme, die zudem noch global vernetzt sind, sind also eine Wundertüte. Niemand kann präzise vorhersagen, wie sie reagieren werden.
Software, Computercode, ist also fundamental unberechenbar. Das ist einerseits beunruhigend, denn irgendwann kann irgendetwas passieren, von dem niemand auch nur die geringste Ahnung hatte im Voraus.
Beruhigend daran ist hingegen, dass es damit also unmöglich ist, dass es je eine Instanz geben wird, die unser digitales Leben (und damit natürlich zunehmend unser Leben insgesamt) kontrollieren kann. Weder eine menschliche noch eine digitale. Und zwar nicht aus politischen, sondern aus mathematischen Gründen! Es wird also immer Code geben, der Unvorhergesehenes machen wird. Das digitale Universum bleibe eine Wildnis, die nur teilweise zähmbar sei, sagt Dyson. Und das halte ich für sehr beruhigend!
Jetzt kann man diese Aussage auch dazu benutzen, philosophisch zu grübeln und Parallelen zu ziehen: Die Wissenschaften und die Technik die Religion in unserer Gesellschaft abgelöst, verdrängt und ersetzt. Antworten auf die „letzten Fragen“ suchen wir primär in der Wissenschaft. Sie ist das Denksystem, mit deren Hilfe wir unser Weltbild konstruieren. Mit der Mathematik könnte es nun möglich werden, die Widersprüche, die sich zwischen Wissenschaft und der (christlichen) Religion auftaten, zu schliessen. Mehr noch, man könnte damit letzte Fragen plötzlich beantworten, zumindest eine davon:
Während Jahrhunderten haben die Menschen nämlich versucht, die Existenz bzw. nicht-Existenz Gottes zu beweisen. Dieser Disput erscheint dank Turings Beweis in einem neuen Licht: Gott kann als der Ur-Programmierer von uns allen und vom Universum insgesamt angeschaut werden. Er hat seiner Schöpfung gewisse Prinzipien und Konstanten mitgegeben, gewisse Algorithmen, die wieder und wieder ausgeführt und repliziert werden, beispielsweise sogenannte Naturgesetze oder auch die Gene. Das Universum besteht also aus Software und Hardware, die so geschickt verbunden sind, dass sie sich gegenseitig beeinflussen können. Letztlich ist Hardware auf Software reduzierbar – dazu habe ich in einem früheren Blogpost unter dem Titel Substance and Form geschrieben: hardware becomes simply a variety of software.
Aber, und das ist die grosse Erkenntnis, die Turing mathematisch bewiesen hat: Gott kann uns nicht beherrschen, weil seine Software eben auch unberechenbar ist – aus zwingenden mathematischen Gründen. Ist das nicht einfach eine sehr intelligente Antwort auf die Frage nach Gott? Es gibt ihn, aber er kann seine Schöpfung nicht beherrschen – und schaut uns vielleicht staunend zu…
Auch für das digitale Leben
Hat mathematisch sich ergeben,
Dass niemand es beherrschen kann:
Weder ein Gott noch ein Tyrann!
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