Die „Gutenberg-Klammer“ bezeichnet die Erkenntnis, dass der Buchdruck eine Besonderheit, eine Ausnahmeerscheinung ist in der Geschichte der Menschheit.
Vor der Gutenberg-Klammer wurde Information mündlich weiter gegeben. Sie hat sich bei der Weitergabe verändert und weiter entwickelt. Information war also nichts statisches, sie wurde als Prozess verstanden, nicht als Produkt. Information war nicht denkbar ohne den Kontext des Erzählers und der Zuhörer. Entsprechend gab es auch kein Gefühl von Eigentum dabei, denn die Information wurde im Prozess der Wiedergabe jedes Mal aufbereitet für die konkrete Situation und die aktuellen Zuhörer.
Nach der Erfindung des Buchdruckes durch Gutenberg wurde Information zunehmend als Produkt wahrgenommen und es entstand ein Gefühl von Besitz. Das hing damit zusammen, dass mit dem Buchdruck ein neues ökonomisches Modell eingeführt werden musste. Vor Gutenberg wurden Bücher von Kopisten von Hand kopiert. Wer also ein Buch wollte, der hat einem Kopisten Geld gegeben, damit er das Buch abschreibt. Für den Buchdruck hingegen war dieses Modell nicht mehr tauglich. Jetzt war Kapital nötig, bevor man einen einzigen Käufer für ein Werk hatte. Dieses Risikokapital musste anschliessend wieder eingespielt werden. Der Buchdrucker (und nicht der Autor eines Werkes!) hatte also ein Interesse daran, dass der Inhalt des von ihm gedruckten Buches geschützt werden konnte, weil die Verbreitung der Information kapitalintensiv war.
Auch wurde Information wegen des Buchdruckes zunehmend linear, eben Zeile für Zeile wahrgenommen. Wenn man Information liest sind keine Rückfragen an den Erzähler möglich.
Gegenwärtig befinden wir uns im Ausgang aus der Gutenberg-Klammer. Information wird zunehmen wieder zum Prozess, die Produkt-Eigenschaften treten in den Hintergrund. Information wird von Klick zu Klick weiter gegeben und unterwegs verändert. Man nennt das mash-up. Information ist nicht mehr linear, sondern vernetzt. Auch deswegen nimmt das Bewusstsein von Besitz ab. Im Internet fliesst Information, sie ist nicht mehr statisch Man könnte fast den Eindruck bekommen, als würde Information wieder in ihren Ur-Zustand versetzt, den sie all die Jahrhunderte und Jahrtausende vor dem Buchdruck hatte. Nur dass sie diesmal viel schneller und global fliesst.
Und wie schon zu Beginn der Gutenberg-Klammer hinkt auch diesmal das Gesetzt den tatsächlichen Gegebenheiten hinterher. 1450 hat Gutenberg sein erstes Werk gedruckt. Man geht davon aus, dass es sich dabei um die Lateinische Grammatik von Donatus handelte. Die Geschichte Gutenbergs ist sehr schön beschrieben in der Kindle-Single von Jeff Jarvis, Gutenberg the Geek.
Im deutschsprachigen Raum gab es erst 450 Jahre später, zu Beginn des 19. Jahrhunderts Urheberrechtsgesetze, nachdem naturrechtliche Philosophen im ausgehenden 18. Jahrhundert die philosophischen Grundlagen für die Idee des geistigen Eigentums entwickelt hatten.
Im Ausgang aus der Gutenberg-Klammer bleibt dem Reicht nicht mehr so viel Zeit, sich anzupassen. Gelebte Wirklichkeit und rechtlicher Rahmenbedingungen klaffen schon jetzt sehr weit auseinander. Nicht nur kann das geltende Recht im Bereich der Urheberrechtsgesetzgebung nicht mehr angemessen durchgesetzt werden (das alleine würde auch niemals ausreichen), sondern empfindet die Gesellschaft rechtlich verpönte Handlungen nicht nur als erlaubt, sondern geradezu als zwischenmenschliche Pflicht! Wenn mich ein Kollege bittet, ein eBook, eine CD oder einen Film zu kopieren gibt es einfach keinen Grund, das nicht zu tun. Es kostet mich nichts, braucht fast keine Zeit und teilen ist schliesslich eine Tugend. Dieses Dilemma zwischen gelebter und rechtlicher Wirklichkeit muss aufgehoben werden. Und das geht vernünftigerweise nur, wenn sich das Recht anpasst.
Im Ausgang aus der Gutenberg’schen Klammer ist also der Gesetzgeber gefordert, der Information zum freien Fluss zu verhelfen, den sie schon immer genoss. Ausser in der verhältnismässig kurzen Zeit innerhalb der Gutenberg-Klammer.
Gutenberg hat ihn erfunden,
Bald ist wieder er verschwunden,
Denn der Buchdruck, welch ein Jammer,
Ist historisch bloss ne Klammer.
10/52
[…] abgelöst durch den Buchdruck, welcher die Visualisierung verschärfte. Während der sogenannten Gutenberg-Klammer, also nach Erfindung des Buchdruckes, wurde dann die orale Übermittlung von Wissen im grossen Stil […]