Ich habe letzthin wieder einmal die Fotos meiner Kindheit angeschaut, die liebevoll in Alben eingeklebt im Büchergestell meiner Eltern verwahrt sind. Die Aufnahmen sind mittlerweile, nach mehr als dreissig Jahren, leicht verblichen und waren wohl auch ursprünglich nicht besonders farbecht. Die Farben sind zu satt und die Kontraste zu weich, die Konturen sind nicht wirklich scharf sondern auf eine charmante Weise leicht verschwommen und mit geringer Tiefe. Das verleiht den Fotografien etwas traumhaft-idyllisches, etwas harmonisches und weckt den Anschein, als sei die Welt damals in Ordnung gewesen.
Tatsächlich sind meine Erinnerungen an die Kindheit geprägt von diesen Fotografien. Die Momente, die darauf festgehalten sind, sind auch die Momente, die sich in der Folge in meinem Gedächtnis festgesetzt haben. Und sie haben sich nicht so festgesetzt, wie sie „wirklich“ waren, sondern so, wie sie auf den Fotos dargestellt wurden.
Natürlich hat das auch Grenzen, so entspricht meine Erinnerung an den Nikolaus, obwohl sie in den 70er Jahren entstanden ist, eher einem Bild aus den 40ern: Schwarz/weiss mit harten Kontrasten, einfach unangenehm.
Der Mensch nimmt die Umwelt mit seinen fünf Sinnen wahr: mit den Augen, den Ohren, mit allen Teilen seines Körpers, mit der Nase und mit dem Gaumen. Die neurolinguistische Programmierung (NLP), eine nicht unumstrittene Sammlung von Kommunikationstechniken und Mustern zur Analyse von Wahrnehmung, kürzt diese fünf Kommunikationskanäle mit VAKOG ab (visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch und gustatorisch).
Diese Kommunikationskanäle werden nicht gleichwertig eingesetzt. in der Regel werden ein oder zwei Sinneskanäle bevorzugt verwendet. Hierbei handelt es sich häufig um visuelle Repräsentationen, da diese in unserer durch Fernsehen, Internet und Werbung geprägten Umwelt am besten entsprechen.
Bei visuell geprägten Menschen wird auch die Erinnerung primär visuell gespeichert, eben in Bildern und nicht so sehr in Tönen, Gefühlen oder Gerüchen und Geschmäcken. Gemäss NLP kann nun einen Erinnerung verändert werden, in dem man die sogenannten Submodalitäten verändert, also eine weitere, feinere Unterteilung der Wahrnehmung vornimmt.
Eine Liste visueller Submodalitäten sieht unter anderen folgende Eigenschaften vor: Schwarz/weiss oder farbig, Tageszeit und Jahreszeit, den Lichteinfall, die Perspektive, die Unterscheidung heller und dunkler Teile, die Grösse und die Form des Bildes, den Kontrast, Schärfe oder Unschärfe, Entfernung des Bildes, dargestellte Bewegung etc.
Eine Methode des NLP besteht darin, sich unangenehme Erinnerungen klein, unscharf und mit wenig Farbe vorzustellen. Angenehme und erwünschte Bilder sollen hingegen gross, klar, scharf, farbig und plastisch vor das innere Auge projiziert werden.
Die in den 70er Jahren aufkommende Farbfotografie war perfekt dafür, diese Zeit visuell als angenehm in Erinnerung zu behalten. Sie hat damit die Zeit der harten schwarz/weiss-Aufnahmen mit Rahmen abgelöst.
In den 90er Jahren dann hat die Digitalfotografie ihren Siegeszug angetreten. Eines ihrer Merkmale ist, dass digitale Aufnahmen in hoher Auflösung sehr realitätsnah und detailgetreu gemacht werden können. Vorbei war also die Zeit, wo Fotos die Idealisierung der Vergangenheit förderten. Dies ist erst in letzter Zeit wieder möglich, dank Foto-Apps für Smartphones, wo Aufnahmen mit zahllosen Filtern und Effekten verfremdet werden können. Allen voran ist hier Instagram zu nennen, eine Smartphone-App (für Android und iOS), deren Siegeszug mit dem Kauf durch Facebook für eine Milliarde Dollar einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat.
Foto-Apps für Smartphones bieten die Möglichkeit, Fotos mit vordefinierten Filtern zu verändern. Diese Effekte erinnern an die visuellen Submodalitäten von NLP. Sie verändern die Sättigung, die Kontraste, mit tilt/shift und Weichzeichnungs-Effekten entstehen Miniatur-Landschaften etc.
Der Hauptgrund aber, weshalb Instagram soviel Wert ist (zumindest für Facebook) ist die Möglichkeit, dass man mit dieser App Fotos teilen kann. Benutzer zeigen sich also gegenseitig ihre Bilder der Welt. Die Darstellungsmöglichkeiten beeinflussen wiederum unsere Wahrnehmung – das zeigt ein Blick in die Kunstgeschichte eindrücklich: So kommt beispielsweise die perspektivische Darstellung erst in der Renaissance auf und in dieser Zeit beginnt man auch, einen Standpunkt zu haben (mehr dazu in meinem Post Die vierte Dimension).
Und das stimmt optimistisch, denn wenn unsere Welt farbenstark, kontrastreich und weichgezeichnet dargestellt wird, dann lässt uns das die Welt in angenehmer Weise wahrnehmen, als einen Ort, an dem man gerne ist.
War es richtig schön und toll,
Denk es gross dir, farbig, satt.
War es schlimm und kummervoll,
Mach es klein, schwarz/weiss und matt.
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