Stellen Sie sich einen heissen Sommertag vor. Soeben ist ein Gewitter vorbei gezogen, jetzt scheint die Sonne wieder mit aller Kraft und die Erde dampft. Sie gehen über eine Wiese und nehmen den intensiven Duft wahr. Können Sie die Blumen riechen? – In solchen Momenten kommt mir immer mein Dusch-Gel in den Sinn und die Frage drängt sich auf: Riecht die Wiese nach Dusch-Gel oder riecht das Dusch-Gel nach Blumenwiese?
Ok, vielleicht bin ich der einzige, der auf einer Blumenwiese an Dusch-Gel denkt. Aber es gibt andere Bereiche als die Düfte, in denen man die Kopie wahrhaftig nicht mehr vom Original unterscheiden kann. Ich rede – natürlich – von digitalen Daten, vom digitalen Kopieren.
Kopiert wird aber nicht erst, seit es digitale Medien gibt. Kopiert wurde schon immer: Ein mittelalterlicher Mönch konnte innerhalb eines Jahres eine Bibel kopieren (abschreiben), nach Erfindung der Druckerpressen im 15. Jh. gab es Druckerprivilegien, die regelten, wer kopieren (drucken) durfte. Und in den 1970er und 1980er Jahren haben wir die Radio-Hitparade auf Kassetten aufgenommen und die Machwerke dann auf dem Schulhof ausgetauscht oder verschenkt.
Der Begriff der Kopie hat sich aber auch gewandelt: abgeschriebene Bibeln waren inhaltlich fehlerhaft, die Tonqualität von Kassetten hat von Kopie zu Kopie abgenommen. Abgesehen vom Dusch-Gel, das wohl besser riecht als die originale Blumenwiese, war es so, dass Kopien gegenüber dem Original minderwertig waren.
Bei digitalen Daten jedoch, wie Mp3-Musikdateien, Youtube-Filme oder pdf-Texten sind die Kopien vom Original nicht zu unterscheiden. Man kann in unserem digitalen Zeitalter ohne Schaden und fast ohne Kosten absolute identische Kopien herstellen. Kopierverbote sind deshalb nur schwer durchsetzbar, weil niemand versteht, warum das verboten sein sollte. Der Mensch ist ein soziales Wesen, er sucht und braucht den Austausch mit anderen Menschen, und er hat einen natürlichen Drang zum Teilen und zum Mitteilen. Kopieren ist also letztlich ein sozialer Akt.
Heutzutage ist es einfacher denn je, digitale Daten zu kopieren und beispielsweise auf sozialen Netzwerken auszutauschen. Es ist einfacher denn je, andere an seiner Freude teilhaben zu lassen. Das kann und darf nicht unterbunden werden!
Es braucht also dringend neue Ideen, wie wir im digitalen Zeitalter mit Kopien umgehen sollen. Die geltenden gesetzlichen Regelungen wirken im Zeitalter von mp3 und Facebook geradezu unmenschlich. Ideengeber könnte zum Beispiel das Dusch-Gel sein und dessen Original, die Blumenwiese. In diesem Sinne plädiere ich für mehr Flower-Power im gesetzgeberischen Umgang mit digitalen Kopien.
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