In ihrem Buch Reality Is Broken: Why Games Make Us Better and How They Can Change the World – geht Jane McGonigal der Frage nach, warum Spiele so viel befriedigender sind als die Realität selber. McGonigal bezieht sich vor allem auf Computerspiele. Die Antworten, die sie findet, können aber ohne weiteres verallgemeinert werden.
Schon ihre Definition von Spiel ist sehr weit: Die Schlüsselelemente, die jedes Spiel haben muss, sind ein Ziel, Regeln, ein Feedback-System und die freiwillige Teilnahme. Diese Punkte sind bei traditionellen Spielen einfach festzumachen. Bei Golf beispielsweise besteht das Ziel darin, mit möglichst wenig Schlägen ein Ball in mehrere Löcher nacheinander zu schlagen. Die Regeln legen fest, wie das zu geschehen hat, von wo aus man schlagen darf etc. Das Feedback-System ist sehr unmittelbar, man erfährt die Anzahl der Schläge sofort. Dass man Golf nicht spielen muss, versteht sich von selber.
Noch pointierter ist Bernard Suits mit seiner Definition eines Spieles: Ein Spiel ist der freiwillige Versuch, unnötige Hindernisse zu überwinden. Bei Golf wäre es viel einfacher, den Ball in die Hand zu nehmen und so in die Löcher zu stopfen. Aber das Spiel sieht die „unnötigen Hindernisse“ vor, dass man den Ball nicht anfassen darf, sondern ihn mit einem spezielle Schläger schlagen muss, dass man möglichst weit weg vom Loch damit beginnen muss, und so weiter. Der Reiz des Spieles besteht eben gerade darin, dass man diese „unnötigen“ Regeln einhält. Wenn dann der Ball trotzdem eingelocht wird, ist das ungleich befriedigender, als wenn man ihn einfach mit der Hand ins Loch gelegt hätte – obwohl der Effekt am Ende der gleiche ist.
McGonigal kommt zum Ergebnis, dass die Realität, verglichen mit Spielen, viel zu einfach sei. Wenn man alles auf dem logischsten und effizientesten Weg erreicht, geht viel vom Reiz des Spielerischen verloren, und damit auch von der Befriedigung, die man daraus gewinnen kann. Vergleichen wir zwei Menschen auf dem Gipfel eines Berges. Der eine hat die effizienteste Möglichkeit gewählt auf den Berg zu kommen, er hat sich von einem Helikopter fliegen lassen. Der andere hingegen ist mühsam und beschwerlich zu Fuss hoch gestiegen. Er hat sich dieses Ziel freiwillig gesetzt und erhielt durch die zunehmend spektakulärer werdende Aussicht unmittelbares Feedback für seine Anstrengungen. Die Regeln sind denkbar einfach: keine fremden Hilfsmittel, nur Muskelkraft darf eingesetzt werden. Letztlich haben beide dasselbe Ziel erreicht: Sie sind auf dem Gipfel des Berges angekommen. Dass der Bergsteiger ein tieferes Zufriedenheitsgefühl hat als der Helikopterpassagier liegt auf der Hand. Offenbar lassen sich die Spieldefinitionen von McGonigal und von Suits auch auf das Bergsteigen anwenden.
Die Vermutung liegt nahe, dass das Leben insgesamt diesen Definitionen folgen könnte. Diese These möchte ich, ausgehend von den Erkenntnissen von McGonigal, in meinem Leben umzusetzen versuchen. Ihr erster Reparaturvorschlag für die Realität, der Fix # 1, sieht vor, uns herauszufordern, um unsere persönlichen Stärken besser einsetzen zu können. Diese Erkenntnis hat mir unmittelbar eingeleuchtet, als ich sie das erste Mal las.
Da ich nicht mein ganzes Leben auf einen Schlag dieser Erkenntnis unterordnen konnte und wollte, habe ich einen kleinen Teilbereich davon dazu ausersehen, diese Erkenntnis zu testen: Ich habe in den letzten vier Monaten jeden Tag einen Gedanken oder eine Idee oder eine kurze Geschichte in einem kurzen Gedicht festgehalten – soweit das Ziel. Die Regeln sehen vor, dass täglich ein Gedicht verfasst werden muss, das vier oder fünf (bei Limericks) Zeilen mit Endreim haben soll, und das wenn immer möglich nicht mehr als 140 Zeichen haben sollte, so dass es gewittert werden kann. Das Feedback-System war zu Beginn nicht ganz klar. Ich ging davon aus, dass ich von den Lesern Feedback erhalten würde. Das war auch der Fall, allerdings in geringerem Masse als erwartet. Ich habe das Gedicht dann deshalb zusätzlich auch auf Facebook und dann auch auf Google Plus veröffentlicht. Das Feedback blieb auch so verhalten. Ich war also eigentlich davon ausgegangen, dass ich das Feedback brauchen würde, um motiviert zu bleiben. Es hat sich interessanterweise gezeigt, dass das gar nicht nötig ist: Die Überwindung des unnötigen Hindernisses, jeden Tag ein Gedicht zu verfassen, ist in sich befriedigend. Die intrinsische Motivation ist also viel grösser als ich erwartet hatte.
Letztlich ist das Verfassen eines Gedichtes nicht viel anders, als das Lösen von beispielsweise einem Sudoku. Wenn man das fertige Ergebnis vor sich sieht, dann ist das sehr befriedigend und erfreulich. Und eben auch motivierend. Und es ist immer noch befriedigend, weshalb mein Projekt #apoemaday (ein Gedicht pro Tag) unvermindert weiter läuft:
Gedichte dichten, macht das Sinn? Ja, es bringt mir viel Gewinn! Ein selbst gestelltes Reimproblem zu lösen, das ist angenehm.Die Gamification meines Lebens hat also gut angefangen. Und sie geht weiter…