Wir belächeln gern die Amerikaner und deren Schein-Welt in den Parks von Disney oder den Kulissen von Hollywood. Das ist eine Welt aus Trug und Schein, so wissen wir. Die Filmsets in Hollywood bestehen nur aus Fassaden ohne Gebäude dahinter. Und für Disney World wurden architektonische Perlen aus Europa schnöde nachgebaut. Nichts ist echt, es sind blosse Nachbauten, Kopien – Trug und Schein.
Ich bin kürzlich durch die Altstadt von Bern flaniert. Sie ist wunderschön und man versteht sofort, dass sie ein UNESCO Weltkulturgut ist. Und das beste: Man kann die Berner Altstadt auch von innen bewundern. Sämtliche Gebäude, oder zumindest die allermeisten, sind für den Publikumsverkehr geöffnet. Aber oh Schreck: Kaum ist man in so einem Weltkulturerbe-Gebäude drin, merkt man nichts mehr von Kulturgut. Nur von Konsumgut: Die ganze wunderschöne Schweizerische Hauptstadt ist ausgehöhlt und dem Kommerz preis gegeben: Warenhäuser, Boutiquen, Läden – eine Welt aus Trug und Schein.
Wir haben das Bedürfnis, alles aufzubewahren, zu konservieren. Diese Bedürfnis betrifft aber nicht nur Gebäude, egal ob nach amerikanischer oder bernerischer Fasson, sondern auch die Natur. So gehört beispielsweise die Jungfrau-Aletschregion mit dem berühmten und eindrücklichen Aletschgletscher zum UNESCO Weltnaturerbe. Doch Europas grösster Gletscher schmilzt.
Die Welt und mit ihr das ganze Universum sind eben im Fluss. Panta rhei: Alles fliesst und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln. Für manche Veränderungen macht man den Menschen verantwortlich, für andere Naturereignisse (also ob der Mensch nicht auch Teil der Natur wäre).
Für die Gletscherschmelze macht man die Klimaerwärmung verantwortlich. Und für die Klimaerwärmung den Menschen. Und so versuchen diese schuldigen Menschen umso intensiver, diese bedrohte Natur zu bewahren und zu konservieren. Dazu werden beispielsweise Gletscher mit Folien und Blachen abgedeckt, um ein weiteres abschmelzen zu verhindern. Auch dem Aletschgletscher soll so geholfen werden. Und so wird auch die Natur nach und nach zu Trug und Schein.
Vielleicht sollten wir aufhören, alles aufbewahren und konservieren zu wollen, aufhören, zurück zu schauen und das Vergangene zu glorifizieren. Stattdessen sollten wir in die Zukunft schauen und diese gestalten wollen.
Sonst wird die ganze Welt zum potemkinschen Dorf und wir leben unsere weiterhin umweltverschmutzende Reality-Soap passend dazu in einem realitätsfernen Hollywood-Filmset.
Willst das Alte konservieren,
Dich aufs Erbe konzentrieren,
Sei’s Kultur, sei es Natur,
Erntest Trug und Schein du nur!
24/52
„Ich erlebe Amerika als ein Land der Aufführung. Hotelangestellte, Sicherheitsbeamte oder Tontechniker haben oftmals etwas an sich, das einem das Gefühl gibt, sie würden den jeweiligen Beruf vorspielen. Ich sage das keinesfalls mit Verachtung. Nein, ich verneige mich vor der Shakespeareschen Erkenntnis, wonach die ganze Welt eine Bühne sei und wir nur ihre Schauspieler. Ich bewundere die Amerikaner für ihren intuitiven Mut, Fiktion und Realität so keinesfalls voneinander zu trennen. Kein Mensch braucht Authentizität, wenn es sie nicht gibt. Und dass das Wort allein fast schon unaussprechbar ist, weist deutlich darauf hin.“ – http://www.zeit.de/kultur/musik/2011-11/sophie-hunger-washington-miami
Finde ich gut (zu deutsch: like), bis auf den letzten Satz. Der ist töricht. Und der zweitletzte eigentlich auch. Es gibt immer Authenzität (und die ist nicht unaussprechbar. nur unschreibbar
Vielen Dank für das Zitat!