Ich habe während eines Jahres täglich ein Gedicht verfasst und dieses auf Twitter, Google+ und auch auf Facebook veröffentlicht. Vorgestern war das letzte Gedicht, die Nummer 365/365. Und gestern dann das allerletzte, die 366/365. Dass ich noch ein allerletztes Gedicht machte, hat zwei Gründe. Der eine ist, dass 2012 ein Schaltjahr ist und damit eben einen Tag mehr hat als andere Jahre. Der zweite Grund aber ist weit wichtiger:
Kennen sie das Gefühl, wenn ein lange ersehntes Ziel endlich erreicht ist? Wenn man endlich an dem Punkt angelangt ist, den man während längerer Zeit im Auge hatte, den zu erreichen man ersehnt hatte? Kennen sie diese Genugtuung, die man in so einem Augenblick empfindet, diese Euphorie und dieses Gefühl der ungetrübten Freude?
Das war das Gefühl, das ich vorgestern hatte. Und ich habe es ausgekostet, bin den ganzen Tag mit hohlem Kreuz herum stolziert und habe mir am Abend ein gediegenes Essen gegönnt. Schön war’s.
Das war, wie gesagt vorgestern. Gestern dann bin ich gut gelaunt aufgewacht. Im Verlauf des Tages jedoch hat sich eine Unruhe eingestellt, die ich zunächst nicht einordnen konnte. Irgendetwas hat mir gefehlt. Natürlich war es das Dichten, das hab ich dann im Verlauf des Nachmittags gemerkt und mit einigem Erstaunen zur Kenntnis genommen.
Ohne Vorhaben, ohne Ziel fehlt dem Menschen also etwas. Nach dem Ziel ist vor dem Ziel.
Das kann man schon bei Kindern beobachten. Haben sie schon einmal ein Kind gesehen, das wohlig in den Armen seiner Mutter geborgen die Welt beobachtet? Was braucht man mehr? Das ist doch genau das, nach dem der Mensch dann ein Leben lang strebt – nachdem er es nicht mehr hat. Was ist es denn, das das Kind aus den Armen der Mutter in die Welt hinaus treibt? Was bewegt Kinder dazu, sich ständig weiter zu entwickeln, ständig Neues zu entdecken? Es ist genau dieses nach-dem-Ziel-ist-vor-dem-Ziel-Gefühl. Der Mensch ist ein strebendes Wesen, hat irgendwer mal gesagt. Und das stimmt.
Darum hab ich also gestern das allerletzte Gedicht geschrieben. Aber es war nicht mehr dasselbe. Wenn das Ziel einmal erreicht ist, dann muss es weitergehen, man kann sich nicht einfach wiederholen. Es braucht etwa Neues, eine Weiterentwicklung!
Für Kinder ist es offensichtlich kein Problem, ständig neue Ziele und Vorhaben zu entwickeln – Eltern ist dieses Phänomen bekannt. Für mich jedoch ist es irgendwie schon ein Problem. Darum lautet mein neues Ziel vorerst, ein neues Ziel zu finden…
Hast du kein Ziel, so such dir eins:
Ein Ziel zu haben, das ist wichtig.
Hast du’s gefunden, ist es deins,
Verfolg‘ es dann und tu das richtig!
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